„Betrieb“

Die systematische Ermordung von Jüdinnen und Juden im Warthegau nahm ihren Anfang, als am 8. Dezember 1941 das erste stationäre Vernichtungslager des NS-Regimes in Kulmhof seinen Betrieb aufnahm. Die ersten Opfer stammten aus den benachbarten Amtsbezirken, die mit der Eisenbahn ins in Warthbrücken umbenannte Koło gebracht wurden, wo sie bis zum Weitertransport in LKWs in der dortigen Synagoge eingesperrt wurden. Ab Januar 1942 wurden dann zunächst bis zu 5.000 aus dem Getto in Litzmannstadt nach Kulmhof transportierte Sinti und Roma zu Opfern des Massenmords, bis dann anschließend zwischen dem 16. und 29. Januar die ersten 14 Transporte mit mehr als 10.000 von dort deportierten Jüdinnen und Juden eintrafen.

Seit März 1942 stiegen die in Warthbrücken eintreffenden Opfer am dortigen Bahnhof direkt in offene Waggons einer Schmalspurbahn um, mit der sie sechs Kilometer in Richtung Kulmhof bis nach Arnsdorf (ursprünglich: Powiercie) fuhren. Von dort mussten sie dann in einer ersten Phase zu Fuß bis zur rund einen Kilometer entfernten stillgelegte Wassermühle in Schöntal (ursprünglich: Zawadki) gehen. Hier verbrachten sie die Nacht und wurden am nächsten Morgen von LKWs abgeholt - exakt so abgezählt, dass jeweils eine „Menschenfracht“ exakt in einen der „Gaswagen“ passte, die in Kulmhof bereitstanden. Ab August 1942 wurden die „Ausgesiedelten“ direkt von Warthbrücken nach Kulmhof transportiert.

Bei den ersten dort durchgeführten Morden diente das „Schloss“ lediglich als Umsteigestation in die Gaswagen, mit denen die Opfer zu den Gruben des „Waldlagers“ transportiert wurden, wo anschließend die Vergasungen in den umgerüsteten LKWs stattfanden. Dieser Ablauf änderte sich im Laufe der Zeit, und bis zur ersten Auflösung des Lagers am 7. April 1943 nahm der Massenmord dann folgendem Verlauf:

Nach Ankunft der Opfer fuhr jeweils ein einzelner Lkw durch das geöffnete Tor auf den sogenannten „Schlosshof“, wo diese aussteigen musste. Anschließend gaukelte ihnen ein - manchmal mit weißem Kittel bekleidetes - Mitglied des Sonderkommandos zur Beruhigung vor, sie würden schnellstmöglich zu einem Arbeitseinsatz weitertransportiert, müssten allerdings zuvor geduscht und desinfiziert werden, was nun im „Schloss“ geschehen würde. Nachdem sie es betreten hatten, mussten sich die Betroffenen dort in einem großen Raum entkleiden, wobei polnische Häftlinge ihre Wertsachen und Kleidungsstücke zum Schein registrierten. Danach wurden sie zu einer mit der Aufschrift „Zum Bad“ gekennzeichneten Kellertreppe getrieben. Wer beim Hinabsteigen zögerte, wurde von den Bewachern verprügelt. Der anschließende Kellergang führte auf der anderen Gebäudeseite über eine weitere Treppe wieder ins Freie zu einer Rampe, an deren Ende einer der insgesamt drei in Kulmhof eingesetzten „Gaswagen“ mit geöffneten Hecktüren bereitstand. Die zwei kleineren dieser an Möbelwagen erinnernden LKWs fassten etwa jeweils 60 bis 80 Personen, der größere rund 100 bis 120 Personen.

Unter den Wagen war das Auspuffrohr mit einem beweglichen Mittelteil versehen worden, das abgeschraubt und stattdessen an einer Öffnung im Wagenboden angeschraubt werden konnte. Sobald der Motor angelassen wurde, drangen die Abgase in den abgedichteten Kastenaufbau, in dem die Insassen dann elendig erstickten. Nach einer sieben- bis achtminütigen Leidenszeit trat die Bewusstlosigkeit, weitere zwei Minuten später der Tod ein. Anschließend wurde das flexible Auspuffteil wieder umgerüstet, so dass der Lkw den „Schlosshof“ zum vier Minuten entfernt liegenden „Waldlager“ fahren konnte.

Dort fuhr er an die zuvor ausgehobenen Gruben heran, wo ein jüdisches Arbeitskommando die Leichen aus dem Wagen ziehen, ihnen die Goldzähne herausbrechen und nach sonstigen Wertgegenständen durchsuchen musste, bevor die Toten in riesige, langgestreckte, mehrere Meter tiefe Leichengruben geworfen und dort systematisch aufgeschichtet wurden. Die Gaswagen wurden zwischenzeitlich gereinigt und fuhren zur Fortsetzung des Mordens zurück zum „Schloss“.

 

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